Anlässlich der Arbeiten zur Verlegung von Versorgungsleitungen wurden zwischen 1995 und 2011 in der Altstadt von Mittenwalde, Kr. Dahme-Spreewald, ca. 10.000 m Leitungsgräben inklusive der Hausanschlüsse von der Firma Archäo Kontrakt archäologisch untersucht.
Urgeschichte
Abgesehen von einem möglicherweise spätneolithischen Feuersteinabschlag waren die bei den Schachtarbeiten erfassten Reste einer Siedlung der späten Bronze- und frühen Eisenzeit die ältesten erhaltenen Spuren. Die als urgeschichtliche Kulturschicht gedeuteten Befunde konnten auf einer Fläche von 350 x 350 m nachgewiesen werden. Die Ausdehnung war also größer als die der mittelalterlichen Stadt. Neben dieser Schicht wurden einige zugehörige Gruben und Gräbchen und die Reste eines Grabes, angeschnitten.
Hier wurde eine große, zentrale, mehrphasige Siedlung der Lausitzer Kultur entdeckt. Sie scheint Kontakte zur weiter im Süden nachweisbaren Hallstattkultur gehabt zu haben. Viel-leicht bezog sie ihre
Metalle von dort. Die Funktionen der Siedlung ähnelten vermutlich denen der Stadt des Mittelalters.
Mittelalter
Periode I
In die erste mittelalterliche Siedlungsperiode sind die älteren Grubenhäuser einzuordnen. Sie konnten 2 x in der Yorckstraße, 4 x in der Paul-Gerhardt Straße, 7 x in der Katharinenstraße und je
einmal im Hohen Holz und, als Altfund, auf dem Friedhof nachgewiesen werden. Die Fluchten der zugehörigen Gebäude korrespondierten nicht mit den heutigen Gebäudefluchten, die Straßen und
Grundstücksgrenzen müssen seitdem verlegt worden sein.
In der Periode I konnten bereits Handwerker nachgewiesen werden, eine Gerberei oder Färberei in der Paul-Gerhardt Straße und eine Schmiede auf dem Salzmarkt. Vermutlich arbeitete auch schon ein
Töpfer. So viele Handwerker könnte ein Dorf kaum ernährt haben, Mittenwalde müsste also in dieser Zeit bereits städtische Funktionen besessen haben.
Zur Datierung dieser Periode kann eine Münze aus einer Färbergrube herangezogen werden, sie stammte aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts. Außerdem wurden insgesamt 438 Scherben Keramik aus den
zugehörigen Befunden geborgen. Die Keramik entspricht Fundgut vom Anfang des 13. Jahrhunderts.
Periode I/II
In der Paul-Gerhardt Straße waren vier Gräben angeschnitten worden, die in zwei Fällen eindeutig stratigraphisch auf die Grubenhäuser folgten. Zwei weitere Gräben ließen sich nicht eindeutig zuordnen.
Leider bestand keine stratigraphische Verbindung von der Paul-Gerhardt Straße zur Yorckstraße. So war es nicht möglich das Verhältnis zu den dort angeschnittenen Gräben zu klären. Für eine
Gleichzeitigkeit spräche, dass beide Male die Gräben direkt in die Verfüllungen der Grubenhäuser eingetieft wurden.
Periode II
In der mittleren und unteren Yorckstraße wurde eine insgesamt mehr als 27 m breite Eintiefung angeschnitten. Zwei weitere kleinere Gräben waren im Norden vorgelagert. Ein derart breiter Graben trat
auf dem untersuchten Salzmarkt bzw. der Paul-Gerhardt Straße nicht auf. Der Graben dürfte zu einer einem System von Gräben gehören, welche das Regenwasser von den einzelnen Grundstücken auf die
Straße und dann den Hügel hinab leitete. Diese Gräben wurden bei den Arbeiten im Bürgersteigbereich der Yorckstraße nachgewiesen.
Leider konnten nur wenige Funde aus dieser Periode geborgen werden, die keine enge Datierung erlaubten.
Periode III
Nach der Zerstörung der Burg durch die Askanier um 1240 folgte ein erneuter Aufbau der Stadt, aber in den heutigen Grenzen. Als Mittelpunkt war vermutlich eine kleine Befestigung am Hausgrabenberg errichtet worden. Ihr Name, das "nuwe hus", erscheint erst spät in den Quellen. Da im 13. Jahrhundert in der Schriftsprache der ältere Terminus „burc“ von der Bezeichnung hus/Haus abgelöst wurde, könnte dieser Name die jüngere Burg im Vergleich zur älteren Burg bezeichnet haben. Zwei Reitersporen aus dem Mittelalter, die während der Arbeiten geborgen wurden, könnten von Rittern aus der Besatzung der Befestigung stammen.
Die zugehörige Siedlung dürfte parallel dazu entstanden sein. Die Grabungsergebnisse vom Grundstück Yorckstraße 53 zeigten eine lockere Bebauung mit unterkellerten Gebäuden an der Straßenfront. Die
Siedlung wird anfänglich von einer von Gräben verstärkten Palisade umgeben worden sein. Die veränderte politische Ausrichtung ließ sich an der Verlagerung des Hauptzugangs von Westen nach Norden
erkennen. Dieses Tor im Norden wurde durch den aus Feldsteinen erbauten Pulverturm in der Yorckstraße geschützt. Im 14. Jahrhundert wurde die Palisade durch eine Stadtmauer aus Stein ersetzt.
Zur Ausstattung der Stadt gehörte auch weiterhin die Schmiede am Salzmarkt. Und die angeführten Hinweise auf den Glasmacher und den Töpfer müssen spätestens in dieser Periode in den Boden gelangt
sein.
Die Funde aus Periode III waren wieder etwas zahlreicher. Es wurden 273 Scherben Keramik geborgen, die sich aber nur allgemein dem 13. und 14. Jahrhundert zuordnen ließen. Der Beginn der Periode wird zwischen den Jahren um 1245, wo in Köpenick eine askanische Vogtei erwähnt wurde, und 1255, der Verleihung des Mittenwalder Archdiakonats, zu suchen sein. Auch die Münzfunde der ersten Bebauungsphase des Grundstücks Yorckstraße 53 weisen in die Mitte des Jahrhunderts. Das Fehlen von Steinzeug lässt ein Ende dieser Periode noch im 14. Jahrhundert vermuten.
Periode IV
Die Periode IV zeigt mit großflächigen Planier- und Baumaßnahmen eine Konsolidierung der Stadt. In dieser Zeit wurde die erste flächendeckende Straßenpflasterung angelegt und das Berliner Tor
ausgebaut. Vermutlich wurde auch die Stadtmauer erneuert. Aus der Periode IV stammten 53 Scherben Keramik aus dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit. Die jüngsten Stücke datieren in die Zeit
ab dem frühen 17. Jahrhundert. Vor Ort entstand der Eindruck, als ob der 30-jährige Krieg die Periode IV beendet hätte.
Periode V
Die Periode V umfasst die Zeit bis zum Beginn der Moderne, etwa um 1800. Der Wiederaufbau der zerstörten Stadt nach dem Krieg führte zu einer Neuanlage mit einer Verbreiterung der Straßen. Außerdem
wurden die Schützenstraße und die Kutschergasse in dieser Zeit angelegt.
Seit Juli 2000 wurden in Mittenwalde, LDS, Strassenbauarbeiten in der Yorckstrasse, Paul Gerhard-Strasse, An der Festwiese, Schützenstrasse und Baruther Vorstadt durchgeführt. Besonders die dabei ausgehobenen Gräben für neue Trinkwasserleitungen ermöglichten weitere Einblicke in die Geschichte Mittenwaldes.
Bei den Untersuchungen wurde wieder flächig die bekannte spätbronzezeitliche Kulturschicht erfaßt. Pfostenlöcher aus der selben Zeit wurden südöstlich der Kreuzung der Paul-Gerhardt Strasse und der
Strasse An der Festwiese nachgewiesen. Am Salzmarkt konnten einige flache Gruben untersucht werden, die große Gefäßscherben und wenig Holzkohle und Leichenbrand enthielten. Da in der Nähe mehrere
spätbronzezeitliche Brandbestattungen geborgen worden waren, wurden sie als Reste weiterer Urnengräber gedeutet.
Zwei flachbodige Gruben im Straßenraum wurden als Reste von Grubenhäusern
angesprochen. Die daraus geborgene Keramik entspricht Fundgut vom Anfang des 13.
Jahrhunderts. Erwähnenswert ist eine Wandscherbe der Harten Grauware mit einer slawisch
anmutenden Verzierung.
Bisher fanden sich 17 Grubenhäuser, aber nur im Norden und Osten der Stadt. Im Süden und
Westen fehlen diese Gebäude, obwohl hier genau dieselben Einblicksmöglichkeiten vorlagen,
Abb. 1. Vermutlich gehören sie zu einer älteren Ausbaustufe der Siedlung. Demnach läge im
Norden also eine dritte Keimzelle der Stadt. Neben der Burg mit der vorauszusetzenden
Vorburgsiedlung im Süden und der Kirche im Westen wäre hier eine Handwerkersiedlung zu
vermuten.
Bei den Untersuchungen im Bereich der Bürgersteige in der Yorckstrasse fand sich eine
Vielzahl von kleinen und größeren Gräben, die vermutlich der Ableitung von Regen- und
Abwasser von den Grundstücken dienten. Die größeren Gräben, die während der Arbeiten im
Straßenraum erfasst worden waren, hätten diese Abwässer gesammelt und nach außen
abgeführt.
Im Süden der Yorckstrasse wurde ein öffentlicher Brunnen aus der Neuzeit oder Moderne
entdeckt. Er bestand aus einer aus Backsteinen (24,0x11,5x6,0 cm) gemauerten
Brunnenröhre, die mindestens 4,5 m tief reichte. Der untere Abschluss des Bauwerks wurde
aber nicht erreicht, so dass keine Aussagen über evtl. ältere Vorgängerbauten getroffen
werden konnten. Der Brunnen konnte Dank einer Planänderung erhalten und obertägig
aufgemauert werden, Abb. 2.
Eine tiefreichende Störung auf der Innenseite der Mauerstraße hatte bei den älteren
Untersuchungen den Verlauf der Stadtmauer bis zur Yorckstraße angezeigt, wo sie an das
Mühlentor anschloss. Eine zweite vergleichbare Störung fand sich an der Straße am Festplatz
im Norden, welche die Flucht der noch erkennbaren Maueranzahnung am Pulverturm
fortsetzte. Da der dort untersuchte Kabelgraben aber nur geringe Einblicke zuließ, ließ sich
der Verlauf der Befestigung nicht sicher bestimmen.
Dafür konnte bei Bauarbeiten im Süden der Stadt, in der Baruther Vorstadt, eine mindestens 1,3 m mächtige, rechtwinklig zur Strasse verlaufende Mauer untersucht werden. Sie bestand aus unbehauenen Feldsteinen in Kalkmörtel, ihre Unterkante wurde nicht erreicht. Auf der Innenseite war nachträglich eine Verkleidung aus Backsteinen vorgemauert worden.
Da die innere Mauer des Mühlentores bei den archäologischen Untersuchungen auf der Kreuzung Mauerstraße–Yorckstraße nachgewiesen worden war, lag es nahe, für die Deutung des Befundes an das einst hier stehende Bauwerk zu denken. Im Bereich des Mühlenfliesses waren ebenfalls starke Feldsteinfundamente bei Bauarbeiten beobachtet worden. Bei der Mauer in der Baruther Vorstadt dürfte es sich also um die feldseitige Außenmauer des Mühlentores gehandelt haben, Abb. 2. Es wäre demnach als insgesamt etwa 75 m langes Zwei-Kammer-Tor zu rekonstruieren. Die Notteniederung hätte dabei als Annäherungshindernis vor dem äußeren Tor gedient, das Mühlenfliess vor dem inneren Zwinger.
Uwe Müller, Mittenwalde - archäologische Beobachtungen zur Stadtentstehung. in: Einsichten. Archäologische Beiträge für den Süden des Landes Brandenburg 1, 1998, 69 - 72
Uwe Müller & Renate Patzschke, Ein Beitrag zur Besiedlung in der späten Bronzezeit und im hohen Mittelalter im Süden Berlins. In: Barbara Horejs, Reinhard Jung, Elke Kaiser und Biba Terzan
(Hrsg.), Interpretationsraum Bronzezeit (=Festschrift B. Hänsel), Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 121, 2005, 431-443, bes. S. 439-440